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Zwischen Reisfeldern, Nebel, Bambus und Schlamm

Aktualisiert: 19. Dez. 2023

Sapa. Eine Stadt und gleichnamige Bergregion im Nordwesten Vietnams, nahe der chinesischen Grenze. Auf einer Höhe von 1.600 Metern schmiegen sich Reisterrassen über Reisterrassen an steile und sanfte Abhänge.

Es ist eine meiner letzten Destinationen in Vietnam und ich habe hier eine zweitägige Trekking-Tour gebucht, mit einer kleinen Gruppe und einer einheimischen Führerin. Am ersten Morgen sieht es so aus, als könnten wir uns glücklich schätzen, einander im nebligen Grau erkennen zu können. Die Stadt Sapa und ihre Lichter dringen nur verschwommen durch die dichten Nebelschwaden, die hohen sind Gebäude bloss durch schwebende goldene Vierecke sichtbar. Am Abend vorher habe ich es mir deshalb im Hostel gemütlich gemacht und mich in ein interessantes schrankartiges Kajütenbett zurückgezogen, in das ich mit einer Leiter geklettert bin und das sich von innen komplett abriegeln liess - ausgestattet mit verschiedenen Beleuchtungsoptionen und Stromanschluss. Nun wartet im Hostel noch der Grossteil meines Gepäcks auf meine Rückkehr.



Der Nebel begleitet uns wie silbernes Geschenkpapier, er lüftet sich zwischendurch und allmählich und enthüllt Stück für Stück die malerischen Reisterrassen. Sie sind, der Jahreszeit entsprechend, mit mehr Schlamm als mit Reis gefüllt - aber das tut meiner Faszination keinen Abbruch. Manche Felder wurden gerade erst bepflanzt, andere liegen noch brach, vielenorts sieht man Einheimische mit Schaufeln und Hacken in den Feldern werkeln. Kleine Häuseransammlungen und Dörfer verstecken sich zwischen den Hügeln. Hin und wieder sichten wir Wasserbüffel inmitten der Felder - diese sind wichtig und werden auf den Feldern für die Ernte gebraucht. (Die Erntezeit ist Ende Sommer und fällt auch mit dem Haupttourismus in der Region zusammen, denn dann gilt Sapa als am schönsten: mit leuchtend goldgelben Reisterrassen, soweit das Auge reicht.)




Auch die schmalen Pfade, die wir bestreiten, haben sich vielenorts in Schlammkanäle verwandelt. Mehr stolpernd und rutschend als laufend kommen wir voran. Matsch umhüllt meine Turnschuhe und ziert den Saum meiner Hosen, und ich halte es für ein Wunder, dass ich tollpatschiger Mensch während der ganzen zwei Tage nie umgefallen bin - wohlgemerkt ein sehr nötiges Wunder, da es sonst knapp geworden wäre mit den Kleidern, die ich in meinen kleinen Rucksack gepresst habe.







Unsere Reiseführerin lädt uns in ihrem Dorf wie selbstverständlich in ihr Zuhause ein. Dort erzählt sie uns von ihrer Kindheit und dem Leben in diesen abgeschiedenen Regionen Vietnams. Sie erzählt davon, wie oft Mädchen und Frauen gegen ihren Willen verheiratet und dafür sogar entführt werden; wie normal dies für die Dorfgemeinschaft ist. Sie erzählt von der Armut und von Dingen, die meine First-World-Problems plötzlich von klein auf winzig schrumpfen lassen. Was sie erzählt, ist nicht neu für mich - und doch gewinnt es an Bedeutung und Gewicht, hier in diesem Haus, in dem die Bewohner im Winter im gleichen Raum mit ihren Stieren Wärme suchen, in diesen Wänden, die weder Wind noch Kälte abhalten, in dieser Küche, die aus einer offenen Feuerstelle und ein paar Töpfen besteht.


Auch sonst erwarten uns in den Dörfern Situationen, die ich nicht kenne und mit denen die gesamte Reisegruppe nicht umzugehen weiss. Wie zum Beispiel die kleinen Kinder, die um Geld betteln und Stoffarmbänder verkaufen wollen - zu Preisen, die so unglaublich tief sind, dass man dazu fast nicht Nein sagen kann, und sich doch unsicher ist, was man tun soll, weil wir auch von unserer Reiseleiterin wissen: Wenn Kinder beim Betteln mehr Geld einbringen als Erwachsene, dann werden sie von ihren Eltern oft aus der Schule genommen, um mehr Zeit für das Betteln zu haben.

Schulbildung ist das, was diesen Kindern auf Dauer am meisten helfen würde, und dafür dürfen die Kinder beim Betteln nicht so viel Erfolg haben - aber das ist so einfach zu sagen für mich als Europäerin, die noch nie selbst Armut erfahren hat. Und überhaupt - fördert der Tourismus, an dem ich mich beteilige, die Lebensqualität und Wirtschaft hier, oder sorgt er schlussendlich für mehr Belastung von Mensch und Natur?


Diese Fragen begleiten mich immer wieder, und oft bleiben die klaren Antworten für mich aus.



Unser Weg führt uns über Hügel, durch Bambuswälder, und schliesslich wieder zurück in die Stadt Sapa, wo es für mich mit einem Nachtbus zurück in die Hauptstadt Hanoi geht.

Was mir bleiben, sind wunderschöne Fotos (die zwar in der oberen Bildhälfte primär weiss sind), schlammverkrustete Schuhe und Hosensäume und weitere Erfahrungen für meine innere Erinnerungskiste, die nach all den Wochen in Vietnam mittlerweile beinah überquellt.



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