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Zwischen den Zeilen

Ein Gedicht über mein Zwischenjahr



Ein Zwischenjahr

Zwischen den Jahren

Zwischen Zeiten und Zimmern

Ein bisschen Wagen

zwischen den Tagen

Einmal eine andere Farbe tragen

Neue Schuhe, auf den Spuren innerer Ruhe

Ein Café am Fjord

Grünes Licht am Himmel

Zwölf Betten in zwei Zimmern

Heimat bloss ein ferner Glimmer


Ein bisschen weg sein heisst

Luft holen

Luft haben

Raum freischaben

wo Gedankentürme ragen

muss ich mal die Fenster putzen

und die Schränke ausmisten

Schränke voller Kisten

von zerknitterten Papieren

verblasste Tinte

ich knie auf allen Vieren

um sie zu entziffern

Gedanken ferner Tage

und ich darf lernen, abzulegen

was ich schon zu lange trage


Herzensburg

Es darf reinigender Regen fallen

und die Mauern waschen

Ich darf einen Blick erhaschen

auf das Land in mir

auf die Welt in dir

darf dich sehen


Ein Zwischenjahr

Zwischen Kontinenten und Ländern

im Zwischenraum, wo sich Sachen verändern

ein kleiner Raum, in die Wand geschnitzt

die Heute trennt

von Morgen

wo ich einfach bin

geborgen


Zwölf Stunden fliegen

In Nachtbussen liegen

Wasser, das fällt

und Licht, dass diese Reisfelder erhellt

Sprache aus Lauten

die ich nicht verstehe

Laut und lebendig

Und lauter Leben in mir


Wo meine Gedanken neben mir her wandern

und Lehm meine Schuhe verschmiert

wo sich mein Blick in der Ferne verliert


Ein bisschen weg sein heisst

Er ist mir manchmal zu bitter, der Kaffee,

und manchmal ist da Heimweh

doch das zeigt, wo sich mein Herzenspfad verzweigt,

wo mein Herz sich sehnend zu dir hin neigt


und am Schluss bin ich zurück

Stück für Stück, hin zu dir

zu dir und zu der Stadt in mir

wo Gedankenhäuser und Gefühlsstrassen

eine Vielfalt formen

die mich füllt und mir fehlt, um die ich die Vergangenheit beneide

wenn ich nicht immer wieder

mal kurz, mal lang

im Hohlraum des Dazwischens stehen bleibe


Stehenbleiben

Die Gewürze und Kräuter in mir drin schmecken

Schmale Gässchen dieser Seelenstadt aufwecken

die verlassen und ausgestorben wirken

obwohl da Cafés und Stände, Laternen und ein Garten

nur auf meinen Besuch warten

Dann geht die Musik wieder an

und das Licht in den Fenstern

und die nächste Ecke ist dran


da ist so viel Raum in mir

der es manchmal braucht

dass ich mich darin verlier

mich gehen lasse

mich sehen lasse

was sich eigentlich alles finden lässt, hier

ganz nahe

bei mir


wo Samen in der Erde meines Seelengartens

vergraben sind, auf den Frühling warten

Zwischen Setzen und Sammeln

zwischen Pflanzen und Ernten

Wo ich Regenschauer schätzen lernte

übe ich, mir Zeit zu geben

übe ich, auch im Winter zu leben


Tippen und Tasten

Ein Herantasten

Erfühlen von Gefühlen

Worte wieder wach in mir

Worte tragen mich zu dir


Manchmal tanze ich über die Tastatur

manchmal hinke oder stolpere ich nur

manchmal steh ich davor

und kann kaum einen Schritt tun

trotzdem kehre ich wieder und wieder zurück


Bildschirme und Leindwände

Werden Hintergrund für mein inneres Sein

wo meine Hände

ihm nach aussen hin Ausdruck verleihn


Pinselstriche am Himmel

aus Gold und Licht

untendran, ein Menschengewimmel

und zwischendrin ich


Pinselstriche in meinem Zimmer

Farbig verschmierte Fingernägel

Draussen wird das Licht immer dimmer

Doch da ist Wind in meinem inneren Segel


Und wenn Wellen wieder wogen wollen

dann sage ich - sie sollen

denn gerade mitten in den Fluten

will ich deine Gegenwart vermuten


Zwischen namenloser Trauer

und ehrfürchtigem Staunen

wischen bodenloser Angst

und warmer, heller Freude

baumle ich in der Luft

und weiss manchmal nicht, wohin mit mir

und hoffe, du kommst einfach zu mir


Nach einer Weile entsteht Zeile um Zeile

ich bemühe mich, nicht bloss durchzueilen

will sehen, was in den Lücken steht

wenn die Zeit für einmal langsam vergeht


Verirre ich mich, hier zwischen den Zeilen?

Zwischen Jahren und Tagen, Bewahren und Wagen?

Zwischen Anfang und Ende und dem ganzen Rest

Halt ich mich im Dazwischen fest


Denn

dazwischen heisst nicht, dass das Leben zerbricht

dass da nichts mehr ist

und ich lerne in der Leere, meine Seele zu nähren


Hoffe, dass du zwischen meinen Zeilen liest

und mich dort findest, wo ich mich vielleicht gar nicht verirre

sondern am Boden sitze und Fäden entwirre

Fäden meiner Kleider, die mir manchmal viel zu gross erscheinen

also sitze ich und entwirre meine losgelösten Fäden

eine dampfende Tasse Tee in der Hand

Steine zerbröseln zu Sand

Baust du daraus eine Burg mit mir?

Baust du aus du und ich mit mir ein wir?


Ich hoffe, dass du zwischen all den Zeilen liest

und mit mir ein bisschen Stille geniesst

hier am Boden im Dazwischen

wo sich Vorher und Nachher allmählich mischen

wie Wasserfarben auf nassem Papier

so leuchtet es hier


Dazwischen

das leere Dazwischen ist Resonanzkörper meines Herzens

wo die Töne meines Lebens zu schwingen beginnen

und ich eine Weile sitzen bleibe, um ihnen zuzuhören

Im Dazwischen erlaube ich mir, zu sein, zu lauschen, um meine innere Stimme wieder zu finden

und die Deine zu hören

In diesem Hohlraum darf dein Klang mich zu meiner Seele verbinden






Zum Gedicht


Es wirkt wohl ein bisschen verstreut, mein Gedicht. Das liegt daran, dass sich darin so viele verschiedene Gedanken widerfinden, und es auf eine gewisse Weise meiner Innenwelt ähnelt, wo immer so viel gleichzeitig passiert, wo Gedanken nicht auf Chronologie und Ordnung und "Eins nach dem Anderen" achten. Und ich wollte mir - passend zum Inhalt des Gedichts - die Erlaubnis geben, es nicht zu sehr zu kürzen, nicht auf "das Wesentliche" herunterzubrechen, sondern die Zeilen einfach mal sein zu lassen. Denn wer entscheidet, was wesentlich ist? Was zu viel ist?



Im Grunde geht es im Gedicht darum: ich will zwischen den Zeilen meines Lebens lesen - zwischen Errungenschaften und Zeugnissen, zwischen Wohnorten und Ausbildung und Beruf, zwischen Erfolgen und Misserfolgen, zwischen den besonderen Tagen, zwischen den grossen Gefühlen, zwischen den klaren Gedanken und Entscheidungen.


Ich will entziffern, was dazwischen in den Lücken steht, von denen die Wörter verbunden werden. Will mir Zeit nehmen, zu spüren, was innerlich geschieht, wenn ich Luft zum atmen habe. Wo zieht es mich dann hin? Was kommt dann hoch? Welche Sehnsüchte spüre ich plötzlich?

Ein Inneleben braucht Raum - und damit meine ich manchmal vor allem Zeit. Zeit, zu sein, Zeit, erforscht zu werden, Zeit, zu verarbeiten. Zeit für Nuancen und Zwischentöne, für Feinabstufungen und Unklarheiten, Zeit, Dinge auszuhalten. Ein bisschen sein. Ohne diesen Raum ersticke ich irgendwie an innerem Sauerstoffmangel.


Und: ich woltle einfach mal schauen, was mir alles in den Sinn kommt, wenn ich über mein letztes Jahr schreiben will. Was hat sich innerlich gesammelt und festgesetzt?


Das Thema "Zwischenräume" wollte ich anhand der Gegebenheit (von meinem eigenen) "Zwischenjahr" erforschen (Oder vielleicht umgekehrt? War mein Zwischenjahr eine Erforschung von Zwischenräumen?)

Das Gedicht vermischt auch ganz bewusst äusserliche Gegebenheiten und inneres Gedanken- und Gefühlsleben, weil ich an beiden Orten oft Mühe habe, mir Raum und Zeit zu geben oder zu nehmen. Auf eine Weise will ich wohl mich selbst lehren, mein Leben als mehr als ein Selbstoptimierungsprojekt zu sehen, als mehr als was ich noch tun könnte. Falls du aber etwas ganz anderes in dem Gedicht liest, ist das genau so schön.


Es gibt im Gedicht auch viele Anspielungen, die für den Leser vielleicht nicht ganz Sinn ergeben, weil sie Bruchstücke von spezifischen Erinnerungen und Erlebnissen sind. Auch das lyrischen Du ist mehrdeutig, denn ich meine nicht immer das gleiche mit "Du"; rede mal zu mir, mal zu Gott, mal zu einem Gegenüber, das einfach eine Freundin sein kann. Und manchmal mehreres gleichzeitig.


So, jetzt höre ich aber auf. Ich weiss, das Ganze war ein bisschen lang.

Aber falls du noch hier bist: es bedeutet mir viel, dass du dir Zeit genommen hast, es zu lesen - mitten zwischen allem, was in deinem eigenen (Innen-)Leben passiert.😊



Sei von ❤️-en gesegnet

Joanna





128 Ansichten2 Kommentare

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2 Comments


heinech2
Jun 15, 2023

Sehr intensiv, die Gedanken sind tief und auch tiefschürfend. Lesenswert sind sie allemal und ich hab mich manchmal gewundert aber sehr gefreut. Es kommt wohl von ganz innen. Schön und ich freue mich auf weitere Verse und Gedanken. Grüsse Charlie

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Joanna
Joanna
Jun 15, 2023
Replying to

danke vielmals! das hat mich gerade sehr gefreut und ermutigt🤗 -Joanna

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